Auch rechts­widrig erlange Infor­ma­tionen können veröf­fent­licht werden, wenn diese bedeutsamt sind.

In einer Presse­mit­teilung vom 29. März 2017 hat das OLG Stuttgart heute mitge­teilt, dass es in einem anhän­gigen verfahren entschieden hat, dass ein mögli­cher­weise illigales Erlangen von Infor­ma­tionen der Veröf­fent­li­chung bei überra­gendem öffent­lichen Infor­ma­ti­ons­in­teresse nicht entgegensteht:

 

Presse­mit­teilung

Der 4. Zivil­senat des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart unter dem Vorsitz von Matthias Haag hat mit einem am 8. Februar 2017 im Tenor verkün­deten und nachfolgend abgefassten Berufungs­urteil über den Erlass einer einst­wei­ligen Verfügung gegen Äußerungen in dem Beitrag „Das Phantom“ entschieden, der am 5. April 2016 in der Süddeut­schen Zeitung und unter www.sueddeutsche.de erschienen ist. Kläger ist ein ehema­liger Privat­de­tektiv und „Geheim­agent“, über den in dem Artikel berichtet wird. Die Beklagten sind der Zeitungs­verlag sowie die drei Verfasser des Artikels. Anlass der Bericht­erstattung waren die „Panama Papers“. Hierbei handelt es sich um Dateien zu Brief­kas­ten­firmen, die eine panamaische Rechts­an­walts­kanzlei für eine Vielzahl promi­nenter Kunden geführt haben soll. Ein anonymer Informant soll die Dateien an einen der Beklagten übermittelt haben.

In dem angegrif­fenen Urteil vom 11. August 2016 hatte das Landge­richt Stuttgart einige der Äußerungen untersagt und den Antrag im Übrigen zurück­ge­wiesen. Das Oberlan­des­ge­richt hat diese Entscheidung teilweise bestätigt und teilweise abgeändert.

Insbe­sondere hat sich der Senat – in Anwendung der Maßstäbe aus der höchst­rich­ter­lichen Recht­spre­chung – mit der Frage ausein­an­der­ge­setzt, ob die mögli­cher­weise rechts­widrige Erlangung der Dateien der Veröf­fent­li­chung insgesamt entge­gen­steht. In tatsäch­licher Hinsicht hat der Senat hierfür die zwischen den Parteien unstreitige Darstellung in dem Buch „Panama Papers – Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung“ zugrunde gelegt. Danach sei davon auszu­gehen, dass die Beklagten nicht lediglich ihnen zugespielte Infor­ma­tionen veröf­fent­licht haben. Vielmehr habe sich zumindest einer der Beklagten an einem etwaigen Rechts­bruch des Infor­manten beteiligt, indem er sich auf dessen Angebot einge­lassen habe, nicht nur bereits vorhandene, sondern auch neu entste­hende Infor­ma­tionen zu übermitteln, sofern diese veröf­fent­licht werden. Die Frage, ob  der Informant rechts­widrig an die Infor­ma­tionen gelangt ist, lässt der Senat offen[1].

Auf die mögli­cher­weise rechts­widrige Beschaffung kann sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil diese keine Straftat zu seinem Nachteil darstellt und ihn im Ergebnis auch nicht in eigenen Rechten verletzt. Insbe­sondere klagt vorliegend nicht die Kanzlei, bei der das „Leak“ bestand. Der Kläger dieses Verfahrens kann durch die Infor­ma­ti­ons­wei­tergabe allen­falls in seinem allge­meinen Persön­lich­keits­recht verletzt sein. Dieses hat in der erfor­der­lichen Abwägung mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs­freiheit zurück­zu­treten. Ein überra­gendes öffent­liches Infor­ma­ti­ons­in­teresse ergibt sich insbe­sondere aus der fehlenden Trans­parenz über den hinter der Brief­kas­ten­firma stehenden wirtschaft­lichen Eigen­tümer, der für die Behörden seines Heimat­staats nicht identi­fi­zierbar und mithin auch nicht kontrol­lierbar ist, und aus dem daraus folgenden Missbrauchs­po­tenzial, etwa für Steuer­hin­ter­ziehung und Geldwäsche. Bedient sich eine sehr promi­nente Person wie der Kläger dieses Geschäfts­mo­dells, das in den Augen jeden­falls eines erheb­lichen Teils der Allge­meinheit per se einen Missstand darstellt, recht­fertigt dies eine identi­fi­zie­rende Berichterstattung.

Hinsichtlich der angegrif­fenen Äußerungen hat der Senat aufgrund einer Abwägung zwischen dem allge­meinen Persön­lich­keits­recht des Klägers (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) mit dem Recht der Beklagten auf freie Meinungs­äu­ßerung (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) wie folgt entschieden:

  • Die detail­lierte Beschreibung des vom Kläger bewohnten Anwesens unter gleich­zei­tiger Nennung des Ortes, in dem dieses liegt, und die Veröf­fent­li­chung des diesbe­züg­lichen Grund­buch­auszugs verletzen in rechts­wid­riger Weise das allge­meine Persön­lich­keits­recht des Klägers. Denn der Leser kann auch ohne Angabe des Wohnortes darüber infor­miert werden, dass sich der Kläger insoweit einer seiner Brief­kas­ten­firmen bedient, die als Eigen­tü­merin im Grundbuch einge­tragen ist. Auch für die öffent­liche Meinungs­bildung zur Frage, welchen Lebens­zu­schnitt sich der Kläger aufgrund seiner jahrzehn­te­langen Tätigkeit als „Geheim­agent“ leisten kann und ob dieser in angemes­senem Verhältnis zu seinen Leistungen steht, genügt die Beschreibung des Anwesens ohne Angabe des Wohnorts.
  • Die Ablichtung eines Reise­passes des Klägers, der auf eine seiner Tarniden­ti­täten ausge­stellt ist, verletzt ihn hingegen weder in seinem Recht am eigenen Bild noch in seinem Recht auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stimmung. Der Senat ist dem Argument einer Gefährdung des Klägers bereits deswegen nicht gefolgt, weil dieser ohne Weiteres durch Bilder aus allgemein zugäng­lichen Quellen identi­fi­zierbar ist, was eine zusätz­liche Gefährdung gerade durch die Veröf­fent­li­chung des Passbildes ausschließt. Auch die Tarniden­tität selbst ist schon vor der Publi­kation des streit­ge­gen­ständ­lichen Beitrags öffentlich enttarnt worden und über eine Inter­net­re­cherche, beispiels­weise im Wikipedia-Artikel über den Kläger, zu finden.
  • Die Äußerung, über den Kläger gebe es das Gerücht, er solle Polizisten bestochen haben, verletzt den Kläger rechts­widrig in seinem allge­meinen Persön­lich­keits­recht. Es handelt sich um eine ehren­rührige Tatsa­chen­be­hauptung, deren Wahrheit von den Beklagten glaubhaft zu machen wäre, was ihnen jedoch nicht gelungen ist. Nach den Grund­sätzen der Verdachts­be­richt­erstattung, die auch auf die Wiedergabe eines Gerüchts anwendbar sind, ist die Äußerung unzulässig. Ein von den Beklagten angeführtes Straf­ver­fahren in Belgien, in dem der Kläger rechts­kräftig freige­sprochen worden ist, sowie die Bezug­nahme auf nahezu 20 Jahre alte und überwiegend noch ältere Presse­be­richte genügt den Anfor­de­rungen an eine sorgfältige Recherche über den Wahrheits­gehalt des Verdachts nicht.
  • Einige weitere angegriffene Äußerungen, die hier nicht im Einzelnen wieder­ge­geben werden, hielt der Senat für zulässig.

Ein weiteres Rechts­mittel gegen das Urteil des Oberlan­des­ge­richts ist nicht gegeben (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Bereits am 30. November 2016 hatte ebenfalls der 4. Zivil­senat in einem Verfahren des einst­wei­ligen Rechts­schutzes des Klägers gegen den Verlag und die beiden Autoren des Buches „Panama Papers – Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung“ entschieden.

Akten­zeichen

4 U 166/16 — Oberlan­des­ge­richt Stuttgart

11 O 102/16 — Landge­richt Stuttgart