EuGH: Bösgläu­bigkeit und ihre Vorraus­set­zungen Urteil vom 11. 6. 2009 — C‑529/07

In der Rechts­sache C‑529/07 betreffend ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen nach Art. 234 EG, einge­reicht vom Obersten Gerichtshof (Öster­reich) mit Entscheidung vom 2. Oktober 2007, beim Gerichtshof einge­gangen am 28. November 2007, in dem Verfahren Choco­la­de­fa­briken Lindt & Sprüngli AG gegen Franz Hauswirth GmbH erlässt DER GERICHTSHOF (Erste Kammer) unter Mitwirkung des Kammer­prä­si­denten P. Jann sowie der Richter M. Ileši (Bericht­erstatter), A. Tizzano, E. Levits und J.-J. Kasel, General­an­wältin: E. Sharpston, Kanzler: K. Sztranc-Sawiczek, Verwal­tungs­rätin, aufgrund des schrift­lichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2008, unter Berück­sich­tigung der Erklä­rungen — der Choco­la­de­fa­briken Lindt & Sprüngli AG, vertreten durch die Rechts­an­wälte H.-G. Kamann und G. K. Hild, — der Franz Hauswirth GmbH, vertreten durch Rechts­anwalt H. Schmidt, — der tsche­chi­schen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevoll­mäch­tigten, — der schwe­di­schen Regierung, vertreten durch A. Falk und A. Engman als Bevoll­mäch­tigte, — der Kommission der Europäi­schen Gemein­schaften, vertreten durch H. Krämer als Bevoll­mäch­tigten, nach Anhörung der Schluss­an­träge der General­an­wältin in der Sitzung vom 12. März 2009 folgendes Urteil (*):

Das Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen betrifft die Auslegung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemein­schafts­marke (ABl. 1994, L 11, S. 1).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechts­streits zwischen der Choco­la­de­fa­briken Lindt & Sprüngli AG (im Folgenden: Lindt & Sprüngli) mit Sitz in der Schweiz und der Franz Hauswirth GmbH (im Folgenden: Franz Hauswirth) mit Sitz in Österreich.

Mit ihrer Klage wegen Marken­ver­letzung begehrt Lindt & Sprüngli von Franz Hauswirth im Wesent­lichen, es zu unter­lassen, im Gebiet der Europäi­schen Union Schoko­la­den­hasen herzu­stellen oder zu vermarkten, die dem durch ihre dreidi­men­sionale Gemein­schafts­marke (im Folgenden: fragliche dreidi­men­sionale Marke) geschützten Hasen verwech­selbar ähnlich sind.

Franz Hauswirth beantragte im Wege der Wider­klage die Nichtig­erklärung dieser Marke und vertritt im Wesent­lichen die Auffassung, sie könne nach Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 als Marke nicht geschützt werden, weil Lindt & Sprüngli bei der Anmeldung dieser Marke bösgläubig gewesen sei.

Recht­licher Rahmen

Gemein­schafts­recht

Unter der Überschrift “Absolute Nichtig­keits­gründe” bestimmt Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94:

“Die Gemein­schafts­marke wird auf Antrag beim [Harmo­ni­sie­rungsamt für den Binnen­markt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)] oder auf Wider­klage im Verlet­zungs­ver­fahren für nichtig erklärt, …

  1. b) wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war. …”

Die Verordnung Nr. 40/94 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemein­schafts­marke (ABl. L 78, S. 1) aufge­hoben, die am 13. April 2009 in Kraft getreten ist. Im Ausgangs­rechts­streit findet jedoch in Anbetracht des für den Sachverhalt maßgeb­lichen Zeitpunkts weiterhin die Verordnung Nr. 40/94 Anwendung.

Natio­nales Recht

  • 34 Abs. 1 des Marken­schutz­ge­setzes (BGBl 1970/260) in seiner im BGBl I 1999/111 veröf­fent­lichten Fassung bestimmt:

“Jedermann kann die Löschung einer Marke begehren, wenn der Anmelder bei der Anmeldung bösgläubig war.”

Nach § 9 Abs. 3 des Bundes­ge­setzes gegen den unlau­teren Wettbewerb (BGBl 1984/448) in seiner im BGBl I 2001/136 veröf­fent­lichten Fassung werden Ausstat­tungen von Waren, ihre Verpa­ckung oder Umhüllung gleich der beson­deren Bezeichnung eines Unter­nehmens geschützt, wenn sie innerhalb betei­ligter Verkehrs­kreise als Kennzeichen des Unter­nehmens gelten.

Ausgangs­rechts­streit und Vorlagefragen

Schoko­la­den­hasen, gemeinhin “Oster­hasen” genannt, werden in Öster­reich und Deutschland mindestens seit 1930 in verschie­denen Formen und Farben vermarktet.

Die einzelnen Hasen hatten sehr unter­schied­liche Gestalt, als sie handge­fertigt und ‑gewickelt wurden, während mit der Einführung der maschi­nellen Wicklung die indus­triell gefer­tigten Hasen einander immer ähnlicher zu werden begannen.

Lindt & Sprüngli stellt seit Beginn der 50er Jahre einen Schoko­la­den­hasen her, dessen Gestalt dem durch die fragliche dreidi­men­sionale Marke geschützten sehr ähnelt. Seit 1994 bietet sie ihn in Öster­reich an.

Im Jahr 2000 wurde Lindt & Sprüngli Inhaber der fraglichen, nachstehend wieder­ge­ge­benen dreidi­men­sio­nalen Marke, die einen sitzenden goldfar­benen Schoko­la­den­hasen mit roter Schleife und Schelle und der braunen Aufschrift “Lindt GOLDHASE” darstellt: …

Die Marke ist für Schokolade und Schoko­la­de­waren der Klasse 30 des Abkommens von Nizza über die inter­na­tionale Klassi­fi­kation von Waren und Dienst­leis­tungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in seiner revidierten und geänderten Fassung eingetragen.

Franz Hauswirth bringt seit 1962 Schoko­la­den­hasen auf den Markt. Der im Ausgangs­ver­fahren streitige Hase ist nachstehend wiedergegeben: …

Nach Ansicht des vorle­genden Gerichts besteht zwischen dem von Franz Hauswirth herge­stellten und vermark­teten Schoko­la­den­hasen und demje­nigen, den Lindt & Sprüngli unter der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke herstellen und vermarkten, Verwechslungsgefahr.

Die genannte Verwechs­lungs­gefahr ergebe sich insbe­sondere daraus, dass der von Franz Hauswirth herge­stellte und vermarktete Schoko­la­denhase dem durch die genannte dreidi­men­sionale Marke geschützten Hasen in Form und Farbe ähnlich sei, und daraus, dass diese Gesell­schaft einen Aufkleber auf der Unter­seite der Ware anbringe.

Andere in der Europäi­schen Gemein­schaft nieder­ge­lassene Hersteller erzeugten Schoko­la­den­hasen, die demje­nigen ähnlich seien, der unter der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke einge­tragen sei. Darüber hinaus bringe ein großer Teil dieser Hersteller seine Herstel­ler­be­zeichnung deutlich und für den Käufer sichtbar auf diesen Hasen an.

Vor der Eintragung der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke sei Lindt & Sprüngli nach natio­nalem Wettbe­werbs­recht oder natio­nalem gewerb­lichem Rechts­schutz nur gegen die Hersteller von Produkten vorge­gangen, die demje­nigen, das in der Folge Anlass zur Eintragung dieser Marke gegeben habe, identisch gewesen seien.

Nach der Eintragung der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke begann Lindt & Sprüngli gegen Hersteller vorzu­gehen, die nach ihrer Kenntnis Waren herstellten, die dem durch diese Marke geschützten Hasen so ähnlich waren, dass sie mit ihm verwechselt werden konnten.

Der Oberste Gerichtshof stellt fest, dass seine Entscheidung über die Wider­klage von Franz Hauswirth davon abhänge, ob Lindt & Sprüngli bei der Anmeldung der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke bösgläubig im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 war.

Der Oberste Gerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszu­setzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorzulegen:

  1. Ist Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 40/94 dahin auszu­legen, dass ein Anmelder einer Gemein­schafts­marke als bösgläubig anzusehen ist, wenn er im Zeitpunkt der Anmeldung weiß, dass ein Mitbe­werber in (mindestens) einem Mitglied­staat ein gleiches oder verwech­selbar ähnliches Zeichen für gleiche oder ähnliche Waren oder Dienst­leis­tungen verwendet, und er die Marke anmeldet, um den Mitbe­werber an der weiteren Verwendung des Zeichens hindern zu können?
  2. Bei Verneinung von Frage 1: Ist der Anmelder als bösgläubig anzusehen, wenn er die Marke anmeldet, um einen Mitbe­werber an der weiteren Verwendung des Zeichens hindern zu können, obwohl er im Zeitpunkt der Anmeldung weiß oder wissen muss, dass der Mitbe­werber durch Verwendung eines gleichen oder ähnlichen Zeichens für gleiche oder verwech­selbar ähnliche Waren oder Dienst­leis­tungen bereits einen “wertvollen Besitz­stand” erworben hat?
  3. Bei Bejahung von Frage 1 oder 2: Ist die Bösgläu­bigkeit zu verneinen, wenn der Anmelder für sein Zeichen bereits Verkehrs­geltung und damit lauter­keits­recht­lichen Schutz erlangt hat?

Zu den Vorlagefragen

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorle­gende Gericht im Wesent­lichen wissen, welche Kriterien zu berück­sich­tigen sind, um festzu­stellen, ob der Anmelder bei der Anmeldung eines Zeichens im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 bösgläubig war.

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

Lindt & Sprüngli macht im Wesent­lichen geltend, dass das Wissen um Mitbe­werber auf dem Markt und die Absicht, deren Markt­zugang zu verhindern, noch nicht die Bösgläu­bigkeit des Anmelders im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 begründe. Hinzu­kommen müsse nämlich ein unlau­teres, d. h., den guten Sitten im Handel zuwider­lau­fendes Verhalten. Ein derar­tiges Verhalten sei im Ausgangs­ver­fahren nicht erwiesen.

Die fragliche dreidi­men­sionale Marke sei schon vor ihrer Anmeldung bekannt gewesen, habe Unter­schei­dungs­kraft im Handel besessen und sei somit in den verschie­denen Mitglied­staaten der Europäi­schen Union lauter­keits­rechtlich oder marken­rechtlich geschützt gewesen. Die Marke sei vor der Marken­an­meldung über einen wesent­lichen Zeitraum genutzt worden und habe diese Bekanntheit durch einen erheb­lichen Werbe­aufwand erlangt. Folglich solle die Eintragung des genannten Zeichens als Marke dessen Good Will vor Nachah­mer­pro­dukten schützen.

Demge­genüber könnten Dritte, wenn das HABM ein Zeichen als Marke einge­tragen habe und diese Marke sodann nicht tatsächlich benutzt werde, auf der Grundlage von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 vor Ablauf einer Frist von fünf Jahren geltend machen, dass der Anmelder bei Anmeldung dieser Marke bösgläubig gewesen sei, und beantragen, die genannte Marke deswegen für nichtig zu erklären.

Franz Hauswirth trägt im Wesent­lichen vor, dass Art. 51 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 dann das notwendige Korrektiv sei, wenn entweder die tradi­tio­nellen absoluten Eintra­gungs­hin­der­nisse oder die relativen Eintra­gungs­hin­der­nisse deshalb nicht anwendbar seien, weil kein eigenes Schutz­recht erworben worden sei. Somit sei die Bösgläu­bigkeit erwiesen, wenn der Anmelder eines Zeichens als Marke Kenntnis davon gehabt habe, dass ein Mitbe­werber, der einen wertvollen Besitz­stand in zumindest einem Mitglied­staat erworben habe, ein gleiches oder ähnliches Zeichen für gleiche oder ähnliche Waren oder Dienst­leis­tungen verwende, und er das Zeichen als Gemein­schafts­marke anmelde, um diesen Mitbe­werber an der weiteren Benutzung seines Zeichens zu hindern.

Lindt & Sprüngli habe mit der Eintragung der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke die Absicht verfolgt, ihre Mitbe­werber völlig auszu­schalten. Sie habe versucht, Franz Hauswirth daran zu hindern, weiterhin eine Ware herzu­stellen, die seit den 60er Jahren oder in ihrer derzei­tigen Form seit 1997 vermarktet werde. Aufgrund ihres wertvollen Besitz­stands müsse Franz Hauswirth ihren Markt behalten und könne von Mitbe­werbern aus der Gemein­schaft nicht bedroht werden.

Es sei klar, dass der Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 die Möglichkeit einer Heilung der Bösgläu­bigkeit wegen der Bekanntheit des als Marke angemel­deten Zeichens nicht ausdrücklich vorsehe, so dass im Ausgangs­ver­fahren die vor Eintragung der fraglichen dreidi­men­sio­nalen Marke erlangte Bekanntheit nicht geltend gemacht werden könne.

Die tsche­chische Regierung vertritt haupt­sächlich die Ansicht, dass Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 dahin auszu­legen sei, dass der Anmelder, der eine Marke anmelde, um einen Mitbe­werber daran zu hindern, ein gleiches oder ähnliches Zeichen weiterhin zu benutzen, während er zum Zeitpunkt der Anmeldung wisse oder wissen müsse, dass ein Mitbe­werber einen wertvollen Besitz­stand durch den Gebrauch eines solchen Zeichens für gleiche oder verwech­selbar ähnliche Waren oder Dienst­leis­tungen erworben habe, auch als bösgläubig anzusehen sei. Dass das Zeichen, das der Anmelder benutze, bereits bekannt sei, schließe die Bösgläu­bigkeit nicht aus.

Die schwe­dische Regierung betont im Wesent­lichen, dass es für eine Bejahung der Bösgläu­bigkeit im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 genüge, wenn der Anmelder gewusst habe, dass ein anderer Wirtschafts­teil­nehmer ein verwech­selbar ähnliches Zeichen benutze. Mit welchem Ziel die Anmeldung der Marke vorge­nommen worden sei, etwa um einen Mitbe­werber an der weiteren Benutzung eines Zeichens und der Nutzung des Wertes, den dieses erlangt habe, zu hindern, sei für die Beurteilung der Bösgläu­bigkeit ohne Bedeutung. Es finde sich außerdem weder im Wortlaut der Verordnung Nr. 40/94 noch in ihrer Syste­matik irgendeine Stütze dafür, ein subjek­tives Tatbe­stands­merkmal zu verlangen, und eine andere Auslegung würde ungerecht­fer­tigte Beweis­schwie­rig­keiten mit sich bringen und für den Wirtschafts­teil­nehmer, der das betref­fende Zeichen als Erster benutzt habe, die Möglich­keiten verringern, eine fehler­hafte Eintragung anzugreifen.

Die Kommission der Europäi­schen Gemein­schaften macht im Wesent­lichen geltend, dass das HABM im Verfahren der Marken­an­meldung eines Zeichens prüfen müsse, ob sie mit dem Ziel erfolge, die Marke tatsächlich zu benutzen. Wenn jedoch das HABM ein Zeichen als Marke einge­tragen habe und diese Marke sodann nicht tatsächlich benutzt werde, könnten auch Dritte auf der Grundlage von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 vor Ablauf einer Frist von fünf Jahren geltend machen, dass der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung des genannten Zeichens als Marke bösgläubig gewesen sei, und beantragen, diese Marke deswegen für nichtig zu erklären.

In Bezug auf die Kriterien, die für die Feststellung erheblich seien, ob der Anmelder bösgläubig gewesen sei, erwähnt die Kommission dessen Markt­ver­halten, das Verhalten der anderen Wirtschafts­teil­nehmer hinsichtlich des angemel­deten Zeichens, die Tatsache, dass der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung über ein Marken­port­folio verfügt habe, sowie alle weiteren Umstände, die dem jewei­ligen Fall eigen seien.

Nicht erheblich sei aber, dass ein Dritter bereits ein identi­sches oder verwech­selbar ähnliches Zeichen benutze, dass der Anmelder von dieser Benutzung Kenntnis habe oder dass dieser Dritte einen wertvollen Besitz­stand an dem von ihm benutzten Zeichen erworben habe.

Antwort des Gerichtshofs

Zur Beant­wortung der Vorla­ge­fragen ist daran zu erinnern, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 ergibt, dass die Bösgläu­bigkeit einer der absoluten Nichtig­keits­gründe der Gemein­schafts­marke ist, so dass sie entweder vor dem HABM oder im Rahmen einer anlässlich eines Verlet­zungs­ver­fahrens erhobenen Wider­klage geltend gemacht werden kann.

Derselben Vorschrift ist zu entnehmen, dass der maßgeb­liche Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob der Anmelder bösgläubig war, der Zeitpunkt der Anmeldung durch den Betref­fenden ist.

Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in der vorlie­genden Rechts­sache nur mit dem Fall befasst ist, dass zum Zeitpunkt der Anmeldung mehrere Hersteller auf dem Markt gleiche oder ähnliche Zeichen für gleiche oder mit dem angemel­deten Zeichen verwech­selbar ähnliche Waren verwendeten.

Es ist darauf hinzu­weisen, dass die Bösgläu­bigkeit des Anmelders im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 umfassend zu beurteilen ist, wobei alle im vorlie­genden Fall erheb­lichen Faktoren zu berück­sich­tigen sind.

Im Einzelnen ist zu den in den Vorla­ge­fragen aufge­führten Faktoren, nämlich

  • der Tatsache, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in mindestens einem Mitglied­staat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemel­deten Zeichen verwech­selbar ähnliche Ware verwendet,
  • der Absicht des Anmelders, diesen Dritten an der weiteren Verwendung eines solchen Zeichens zu hindern, sowie
  • dem Grad des recht­lichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen,

Folgendes klarzu­stellen.

Zunächst ist zum Begriff des “Wissen­müssens” in der zweiten Vorla­ge­frage festzu­stellen, dass sich eine Vermutung dahin, dass der Anmelder von der Verwendung eines gleichen oder ähnlichen Zeichens für eine gleiche oder mit dem angemel­deten Zeichen verwech­selbar ähnliche Ware Kenntnis hatte, u. a. aus einer allge­meinen Kenntnis davon ergeben kann, dass eine derartige Verwendung in dem betref­fenden Wirtschafts­sektor besteht, wobei sich diese Kenntnis u. a. aus der Dauer einer derar­tigen Verwendung herleiten lässt. Denn je länger diese Verwendung zurück­reicht, umso wahrschein­licher ist es, dass der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung davon Kenntnis hatte.

Es ist jedoch festzu­stellen, dass der Umstand, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter zumindest in einem Mitglied­staat seit langem ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemel­deten Zeichen verwech­selbar ähnliche Ware benutzt, allein noch nicht für die Bejahung der Bösgläu­bigkeit des Anmelders genügt.

Daher ist für die Beurteilung der Bösgläu­bigkeit auch die Absicht des Anmelders zum Zeitpunkt der Anmeldung zu berücksichtigen.

In dieser Hinsicht ist zu beachten, dass die Absicht des Anmelders im maßgeb­lichen Zeitpunkt, wie im Übrigen auch die General­an­wältin in Nr. 58 ihrer Schluss­an­träge ausge­führt hat, ein subjek­tives Tatbe­stands­merkmal ist, das anhand der objek­tiven Fallum­stände bestimmt werden muss.

Die Absicht, einen Dritten an der Vermarktung einer Ware zu hindern, kann unter bestimmten Umständen für die Bösgläu­bigkeit des Antrag­stellers kennzeichnend sein.

Dies ist u. a. dann der Fall, wenn sich später heraus­stellt, dass der Anmelder ein Zeichen als Marke hat eintragen lassen, ohne dessen Benutzung zu beabsich­tigen, allein um den Markt­zu­tritt eines Dritten zu verhindern.

In einem solchen Fall nämlich erfüllt die Marke nicht ihre Haupt­funktion, die darin besteht, dem Verbraucher oder Endab­nehmer die Ursprungs­iden­tität der betref­fenden Ware oder Dienst­leistung zu garan­tieren, indem sie ihm ermög­licht, diese Ware oder Dienst­leistung ohne die Gefahr einer Verwechslung von denen anderer Herkunft zu unter­scheiden (vgl. insbe­sondere Urteil vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, Slg. 2004, I‑5089, Randnr. 48).

Dass ein Dritter seit langem ein Zeichen für eine gleiche oder mit der angemel­deten Marke verwech­selbar ähnliche Ware verwendet und dass dieses Zeichen in einem gewissen Grad recht­lichen Schutz genießt, ist außerdem einer der erheb­lichen Faktoren für die Beurteilung der Frage, ob der Anmelder bösgläubig war.

In einem solchen Fall könnte nämlich der Anmelder in den Genuss der von der Gemein­schafts­marke verlie­henen Rechte gelangen, nur um gegenüber einem Mitbe­werber, der ein Zeichen verwendet, das bereits aus eigener Kraft einen gewissen Grad recht­lichen Schutzes erlangt hat, unlau­teren Wettbewerb zu betreiben.

Gleichwohl lässt sich nicht ausschließen, dass sogar unter derar­tigen Umständen und insbe­sondere dann, wenn mehrere Hersteller auf dem Markt gleiche oder ähnliche Zeichen für gleiche oder mit dem angemel­deten Zeichen verwech­selbar ähnliche Waren verwenden, der Anmelder mit der Eintragung dieses Zeichens ein berech­tigtes Ziel verfolgt.

Dies kann, wie die General­an­wältin in Nr. 67 ihrer Schluss­an­träge darlegt, insbe­sondere dann der Fall sein, wenn der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung weiß, dass ein Dritter, der erst seit kurzer Zeit auf dem Markt tätig ist, versucht, Nutzen aus dem genannten Zeichen zu ziehen, indem er dessen Aufma­chung kopiert, was den Anmelder dazu veran­lasst, das Zeichen eintragen zu lassen, um die Verwendung dieser Aufma­chung zu verhindern.

Wie die General­an­wältin außerdem in Nr. 66 ihrer Schluss­an­träge festge­stellt hat, kann ferner die Art der angemel­deten Marke für die Beurteilung der Bösgläu­bigkeit des Antrag­stellers erheblich sein. In dem Fall nämlich, dass das betref­fende Zeichen in der Gesamtform und ‑aufma­chung einer Ware besteht, ließe sich die Bösgläu­bigkeit des Antrag­stellers leichter bejahen, wenn die Wahlfreiheit der Mitbe­werber hinsichtlich Form und Aufma­chung einer Ware aufgrund techni­scher oder kommer­zi­eller Erwägungen so beschränkt ist, dass der Marken­in­haber seine Mitbe­werber nicht nur daran hindern kann, ein gleiches oder ähnliches Zeichen zu verwenden, sondern auch daran, vergleichbare Waren zu vermarkten.

Außerdem kann für die Beurteilung der Bösgläu­bigkeit des Antrag­stellers der Bekannt­heitsgrad berück­sichtigt werden, der einem Zeichen zum Zeitpunkt seiner Anmeldung als Gemein­schafts­marke bekommt.

Ein solcher Bekannt­heitsgrad kann nämlich gerade das Interesse des Anmelders recht­fer­tigen, einen weiter reichenden recht­lichen Schutz seines Zeichens sicherzustellen.

Nach alledem ist auf die Vorla­ge­fragen zu antworten, dass das nationale Gericht für die Beurteilung der Frage, ob der Anmelder im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 bösgläubig ist, gehalten ist, alle erheb­lichen Faktoren zu berück­sich­tigen, die dem von ihm zu entschei­denden Fall eigen sind und zum Zeitpunkt der Einrei­chung der Anmeldung eines Zeichens als Gemein­schafts­marke vorliegen, insbesondere

  • die Tatsache, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in mindestens einem Mitglied­staat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemel­deten Zeichen verwech­selbar ähnliche Ware verwendet,
  • die Absicht des Anmelders, diesen Dritten an der weiteren Verwendung eines solchen Zeichens zu hindern, sowie
  • den Grad des recht­lichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangs­ver­fahrens ist das Verfahren ein Zwischen­streit in dem bei dem vorle­genden Gericht anhän­gigen Rechts­streit; die Kosten­ent­scheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Betei­ligter für die Abgabe von Erklä­rungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Verfah­rens­sprache: Deutsch.