Keine Diskri­mi­nierung jüngerer Arbeit­nehmer durch gestaf­felte Kündigungsfristen

Die gemäß § 622 Abs. 2 BGB nach der Dauer der Betriebs­zu­ge­hö­rigkeit gestaf­felten Kündi­gungs­fristen verstoßen nach einer Entscheidung des Hessi­schen Landes­ar­beits­ge­richts weder gegen das Allge­meine Gleich­be­hand­lungs­gesetz (AGG) noch gegen EU-Recht. Die Staffelung hat zwar regel­mäßig zur Folge, dass für jüngere Arbeit­nehmer kürzere Kündi­gungs­fristen gelten als für ältere Arbeit­nehmer. Diese Ungleich­be­handlung ist nach Auffassung der Arbeits­richter jedoch gerecht­fertigt, da mit zuneh­mender Dauer des Arbeits­ver­hält­nisses die Bindungen an den Arbeit­geber und Arbeitsort immer länger­fris­tiger und inten­siver werden.

 

Tenor

 

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeits­ge­richts Gießen vom 08. März 2012 — 4 Ca 6/12 — wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  2.  Die Revision wird zugelassen.

Tatbe­stand

Die Parteien streiten über die Dauer der einzu­hal­tenden Kündigungsfrist.

Die Beklagte betreibt eine Golfsport­anlage und beschäftigt nicht mehr als zehn Arbeit­nehmer. Die am … geborene Klägerin war seit Juni 2007 bei ihr beschäftigt, zunächst im Rahmen einer Ausbildung zur Sport- und Fitness­kauffrau, die sie im Sommer 2008 abbrach. Seit Juli 2008 bestand zwischen den Parteien ein zunächst bis zum 31. Dezember 2008 befris­tetes Arbeits­ver­hältnis, in dessen Rahmen die Klägerin als „Aushilfe Golf-Empfang und Pro-Shop“ gegen Zahlung einer monat­lichen Brutto­ver­gütung von 1.500,00 € beschäftigt wurde. Dieses wurde über den vorge­se­henen Beendi­gungs­termin hinaus fortgesetzt.

Nach einer Abmahnung vom 28. September 2011 sprach die Beklagte der Klägerin am 20. Dezember 2011 die ordent­liche Kündigung zum 31. Januar 2012 aus, die der Klägerin am 28. Dezember 2011 zuging und wegen deren Wortlaut auf Bl. 13 d.A. verwiesen wird.

Mit ihrer am 12. Januar 2012 beim Arbeits­ge­richt einge­gan­genen Klage, die der Beklagten am 17. Januar 2012 zugestellt wurde, hat die Klägerin den Bestand des Arbeits­ver­hält­nisses bis zum 31. Juli 2012 geltend gemacht und darüber hinaus die Weiter­be­schäf­tigung bis zu diesem Termin und die Entfernung der Abmahnung aus der Perso­nalakte verlangt.

Sie hat dies damit begründet, dass die Staffelung der Kündi­gungs­fristen in § 622 Abs. 2 BGB alters­dis­kri­mi­nierend sei und deshalb nicht angewandt werden dürfe.

Wegen des zu Grunde liegenden Sachver­halts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbe­stand des angefoch­tenen Urteils (Bl. 55f d.A.) verwiesen.

Das Arbeits­ge­richt hat die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Klage, soweit mit ihr die Entfernung der Abmahnung aus der Perso­nalakte verlangt wurde, unzulässig sei, da mangels Fortbe­stand des Arbeits­ver­hält­nisses kein Rechts­schutz­be­dürfnis für diesen Antrag bestünde.

Im Übrigen sei die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet, weil das Arbeits­ver­hältnis rechts­wirksam durch die Kündigung vom 21. Dezember 2011 mit Monats­frist zum 31. Januar 2012 beendet worden sei. Die Regelung in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach Kündi­gungs­fristen mit zuneh­mender Dauer der Beschäf­tigung ansteigen, verstoße weder gegen §§ 1 und 2 AGG noch gegen europäi­sches Gemein­schafts­recht. Zwar komme eine mittelbare Diskri­mi­nierung wegen des Alters unter dem Aspekt in Betracht, dass eine 28-jährige Arbeit­neh­merin denklo­gisch nicht in den Genuss der höchst­mög­lichen Kündi­gungs­frist von sieben Monaten kommen kann. Diese Ungleich­be­handlung erfolge jedoch nicht „wegen des Alters“, sondern knüpfe an die persön­liche Bindung zwischen Arbeit­nehmer und Arbeit­geber an, die mit zuneh­mender Beschäf­ti­gungs­dauer immer enger werde und deshalb eine immer längere „Vorwarn­frist“ im Falle einer Kündigung erfordere.

Gegen dieses Urteil vom 08. März 2013, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdar­stellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin äußert die Auffassung, die Staffelung der Kündi­gungs­fristen in § 622 Abs. 2 BGB verstoße sowohl gegen die Bestim­mungen des Allge­meinen Gleich­be­hand­lungs­ge­setzes als auch gegen EU-Recht. Es liege eine unzulässige mittelbare Diskri­mi­nierung vor, da langjährig beschäf­tigte Arbeit­nehmer natur­gemäß älter sind. Damit führe die Regelung faktisch zu einer diskri­mi­nie­renden Ungleich­be­handlung zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern.

Die vom Arbeits­ge­richt zur Begründung heran­ge­zo­genen „persön­lichen Vertrags­be­zie­hungen“ stellten keinen sachlichen Grund für die Verlän­gerung der Kündi­gungs­fristen dar. Auch jüngere Arbeit­nehmer benötigten eine ausrei­chende „Vorwarn­frist“, um sich auf dem Arbeits­markt zu orien­tieren. Es sei nicht Sache des Gesetz­gebers, die Dauer solcher Vertrags­be­zie­hungen zu privi­le­gieren. Dies könne einen emotio­nalen, aber keinen sachlichen Grund für eine Ungleich­be­handlung darstellen. Insbe­sondere würden durch die Staffelung keine recht­mä­ßigen Ziele im Bereich der Beschäf­ti­gungs­po­litik, des Arbeits­marktes und der beruf­lichen Bildung i.S.v. Nr. 25 EU-Richt­linie 2000/78 verfolgt.

Zwar sei das Dienst­alter eines Arbeit­nehmers im Hinblick auf die zu Grunde liegende Berufs­er­fahrung ein zuläs­siger Faktor bei der Bestimmung der Entgelthöhe. Hinsichtlich der Kündi­gungs­fristen sei eine solche Diffe­ren­zierung aber weder zwingend noch sachlich geboten. Mitar­beiter mit langjäh­riger Betriebs­zu­ge­hö­rigkeit verfügten häufig über wesentlich bessere Arbeits­markt­chancen als jüngere, unerfahrene Mitarbeiter.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des erstin­stanz­lichen Urteils des Arbeits­ge­richts Gießen vom 08. März 2012 — 4 Ca 6/12 — wie folgt zu erkennen:

  1. Es wird festge­stellt, dass das Arbeits­ver­hältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Dezember 2011 nicht zum 31. Januar 2012, sondern erst zum 31. Juli 2012 endete.
  2. Im Übrigen hat die Klägerin den Rechts­streit im Termin vom 13. Mai 2013 für erledigt erklärt.

Die Beklagte bittet um Zurück­weisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil unter Wieder­holung und Vertiefung ihres erstin­stanz­lichen Vortrags.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungs­in­stanz wird auf die die Berufungs­be­gründung enthal­tende Berufungs­schrift vom 24. April 2012 (Bl. 63 — 67 d.A.) und die weiteren Schrift­sätze der Klägerin vom 17. Juli 2012 (Bl. 83f d.A.), vom 05. September 2012 (Bl. 90f d.A.), vom 27. September 2012 (Bl. 105 d.A.) und vom 23. Januar 2013 (Bl. 115f d.A.) sowie die Berufungs­be­ant­wortung vom 04. Juni 2012 (Bl. 72 — 74 d.A.) und die weiteren Schrift­sätze der Beklagen vom 25. Juli 2012 (Bl. 88f), vom 14. September 2012 (Bl. 107f d.A.) und vom 29. Januar 2013 (Bl. 126f d.A.) verwiesen.

Gründe

I.

Die nach dem Wert des Beschwer­de­ge­gen­standes statt­hafte, form- und frist­ge­recht einge­legte und begründete Berufung der Klägerin ist zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeits­ge­richt hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Berufungs­ge­richt schließt sich dem angefoch­tenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungs­be­gründung gibt lediglich Anlass zu folgender Ergänzung:

Neben der vom Arbeits­ge­richt in den Vorder­grund der Argumen­tation gestellten mit der Dauer des Arbeits­ver­hält­nisses zuneh­menden persön­lichen Bindung der Arbeits­ver­trags­par­teien, die zu einer verlän­gerten „Vorwarn­frist“ führt, ist auch ganz allgemein festzu­stellen, dass das deutsche Arbeits­recht regel­mäßig an den längeren Bestand eines Arbeits­ver­hält­nisses bestimmte Rechts­folgen knüpft. So hat die Klägerin selbst darauf hinge­wiesen, dass der Europäische Gerichtshof eine dienst­al­ters­be­zogene Staffelung bei der Vergütung im Hinblick auf die gewonnene und für den Arbeit­geber durchaus geldwerte beruf­liche Erfahrung für gerecht­fertigt hält (EuGH Urteil vom 03.10.2006 — C‑17/05 — NZA 2006, 1205). Ebenso wird bei der Bemessung von Abfin­dungen gem. §§ 9, 10 KSchG neben dem Lebens­alter auf die im gekün­digten Arbeits­ver­hältnis zurück­ge­legte Beschäf­ti­gungs­dauer Bezug genommen.

Auch in Sozial­plänen i.S.d. § 112 BetrVG wird regel­mäßig bei der Bemessung sowohl von finan­zi­ellen als auch von anderen Ausgleichs­leis­tungen unmit­telbar an die Dauer der Betriebs­zu­ge­hö­rigkeit angeknüpft.

In allen solchen Fällen führt dies dazu, dass natur­gemäß jüngere Arbeit­nehmer seltener als ältere Arbeit­nehmer in den Genuss höherer Zahlungen oder besserer Leistungen kommen, da die Wahrschein­lichkeit einer langjäh­rigen Beschäf­tigung bei ein und demselben Arbeit­geber auf Grund ihrer biolo­gi­schen Lebenszeit geringer ist als bei älteren Arbeitnehmern.

Ähnlich verhält es sich bei den Kündi­gungs­fristen i.S.d. § 622 Abs. 2 BGB. Diese faktische Ungleich­be­handlung ist jedoch entgegen der Annahme der Klägerin nicht nur sinnvoll, sondern auch zum Erreichen der damit inten­dierten Ziele erfor­derlich, wie sich aus folgenden Erwägungen ergibt:

Die Kündi­gungs­fristen des § 622 Abs. 2 BGB bewirken einen zeitlich limitierten Kündi­gungs­schutz und sollen dem Arbeit­nehmer erleichtern, möglichst ohne wirtschaft­liche Nachteile einen neuen Arbeits­platz zu finden (vgl. ErfK/­Müller-Glöge, § 622 BGB, Rn. 1 m.w.N.). Insofern entspricht der höhere zeitlich limitierte Kündi­gungs­schutz länger bestehender Arbeits­ver­hält­nisse nur dem allge­meinen Prinzip des sich mit der Dauer eines Arbeits­ver­hält­nisses verstär­kenden Bestandsschutzes.

Je länger ein Arbeit­nehmer im Arbeits­ver­hältnis mit ein und demselben Arbeit­geber steht, desto inten­siver wird nicht nur die vom Arbeits­ge­richt hervor­ge­hobene persön­liche Bindung an dieses Arbeits­ver­hältnis. Vielmehr trifft ein Arbeit­nehmer regel­mäßig auch im Hinblick auf sein soziales Leben, das nur zu einem Teil aus der vertrags­ge­mäßen Leistung während des Arbeitstags besteht, von dieser aber wesentlich beein­flusst und durch das Arbeits­ein­kommen gesichert wird, zunehmend langfristige Dispo­si­tionen. Gerade der im Arbeits­ver­hältnis konti­nu­ierlich anwach­sende Bestands­schutz veran­lasst einen Arbeit­nehmer regel­mäßig, z.B. die Wohnsi­tuation seinen persön­lichen Wünschen entspre­chend auch unter Einsatz höherer finan­zi­eller Mittel zu gestalten, sich in höherem Maße ehren­amtlich an seinem Wohnort zu engagieren und mit der Familie, die sich ebenfalls an eine zunehmend sichere Beschäf­tigung gewöhnt hat, Entschei­dungen mit langfris­tigen Auswir­kungen zu treffen.

Diese länger­fris­tigen und inten­si­veren Bindungen der verschie­densten Art, die im Wesent­lichen mit dem zuneh­menden Bestands­schutz im Arbeits­ver­hältnis korre­spon­dieren, gebieten es, Arbeit­nehmern mit einer längeren Betriebs­zu­ge­hö­rigkeit eine längere Kündi­gungs­frist in der Art einzu­räumen, wie dies der Gesetz­geber in § 622 Abs. 2 BGB getan hat.

Insofern werden selbst dann, wenn man in der Privi­le­gierung länger bestehender Arbeits­ver­hält­nisse wegen der statis­tisch unter­schied­lichen Auswir­kungen auf jüngere und ältere Arbeit­nehmer eine mittelbare Diskri­mi­nierung „wegen des Alters“ im Sinne der Richt­linie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allge­meinen Rahmens für die Verwirk­li­chung der Gleich­be­handlung in Beschäf­tigung und Beruf erkennt, durch die Staffelung recht­mäßige Ziele jeden­falls im Bereich der Beschäf­ti­gungs­po­litik und des Arbeits­marktes i.S.v. Nr. 25 der Richt­linie verfolgt. Denn die oben beschrie­benen natür­lichen Folgen einer länger­fris­tigen Bindung an einen Arbeits­vertrag führen dazu, dass eine Umori­en­tierung in Richtung einer ander­wei­tigen Beschäf­tigung ebenso wie die Suche nach einem neuen Arbeits­platz im Falle einer arbeit­ge­ber­sei­tigen Kündigung zunehmend erschwert wird, da beides oftmals mit dem Verlust gewach­sener Bezie­hungen sowohl in sozialer als auch in finan­zi­eller Hinsicht einhergeht Anderer­seits liefe es einer sinnvollen Beschäf­ti­gungs­po­litik zuwider, wenn bereits zu Beginn eines Arbeits­ver­hält­nisses sehr lange Kündi­gungs­fristen gölten, da dies durchaus als Einstel­lungs­hin­dernis angesehen werden müsste. Insofern war der Gesetz­geber geradezu verpflichtet, bei der Neure­gelung der Kündi­gungs­fristen im Rahmen des § 622 Abs. 2 BGB im Jahre 1993 wiederum eine Staffelung nach der Bestands­dauer des Arbeits­ver­hält­nisses einzu­führen und so einer­seits den Arbeit­nehmern, die sich im langfristig bestehenden Arbeits­ver­hältnis zunehmend gesichert fühlen, eine längere Frist bis zum recht­lichen Ende des gekün­digten Arbeits­ver­hält­nisses einzu­räumen, anderer­seits dem Arbeit­geber eines erst kurzfristig beschäf­tigten Arbeit­nehmers die ordent­liche Kündigung zu einem früheren Termin zu ermöglichen.

Dass sich diese Ziele nicht ausdrücklich in der von der Klägerin heran­ge­zo­genen Geset­zes­be­gründung nieder­schlugen, schadet nicht, denn es kann davon ausge­gangen werden, dass solche nahelie­genden Überle­gungen auch schon den früheren Regelungen, die ebenfalls eine Fristen­staffel enthielten, zu Grunde lagen.

Aus diesem Grunde folgt die Berufungs­kammer unein­ge­schränkt folgender in der Literatur vertre­tenen Auffassung: „An die Dauer der Betriebs­zu­ge­hö­rigkeit anknüp­fende Kündi­gungs­fristen sind daher durch legitime Ziele der beruf­lichen Wieder­ein­glie­derung gerecht­fertigt. Will man diesen Zweck nicht direkt unter § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG subsu­mieren oder als positive Maßnahme i.S.d. § 5 AGG anerkennen, so handelt es sich jeden­falls um eine objektive, angemessene und durch ein objek­tives Ziel gerecht­fer­tigte Maßnahme i.S.d. § 10 Satz 1 AGG“ (Willemsen, Schweibert, Schutz der Beschäf­tigten im Allge­meinen Gleich­be­hand­lungs­gesetz, NJW 2006, 2583).

Wegen der bereits Ende Januar 2012 einge­tre­tenen Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses waren auch die anderen vom Arbeits­ge­richt abgewie­senen Klage­an­träge jeden­falls unbegründet. Für eine Erledigung des Rechts­streits in der Haupt­sache blieb kein Raum.

III.

Die Kosten­ent­scheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Revision wurde wegen der grund­sätz­lichen Bedeutung der Rechts­frage nach der Rechts­wirk­samkeit der gestaf­felten Kündi­gungs­fristen in § 622 Abs. 2 BGB zugelassen.